Unaufhörlich, anders macht Innovation keinen Sinn

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The Knowledge Funnel

Wer möchte heute schon in Nokia’s Schuhen stecken? Wer möchte seinen Job mit Stephen Elop tauschen?

Nokia's abstürzender Umsatz

Nokia Umsatz – Quelle: wolfram alpha

Wir sehen einen stetig fallenden Umsatz. Auch der Schwenk weg von den eigenen Plattformen hin zur Kooperation zu Microsoft als Plattform für neue Smartphones hat keine Trendumkehr gebracht.

Apple überholt im Umsatz Nokia rechts

Apple überholt im Umsatz Nokia rechts

Hier sehen wir einen der Gründe: Apple überholt rechts. Man beachte, dass die Darstellung der Umsätze logarithmisch ist. In Zahlen hat in den letzten Jahren Apple seinen Umsatz von ca. 25 Milliarden auf ca. 125 Milliarden verfünffacht, Nokia hat zwei Drittel von ca. 60 auf ca. 20 Milliarden verloren.

Marktanteile Nokia - nicht geführt.

Nokia wird nicht unter den fünf größten Smartphone-Lieferanten geführt.

Hierzu kann man gar nicht viel sagen: Nokia ist immer noch einer der größten Hersteller von Featurephones (also normalen mobile Phones), findet aber keinen Platz unter den ersten fünf Smartphone Herstellern. Nokia existiert faktisch nur in der Welt billigen Handies mit geringer Marge, also in der Welt billiger Gebrauchsgegenstände.
Nokia stock chart

Nokia stock chart

Der Aktienkurs spiegelt das recht eindrücklich wieder. Und es bleibt auch wirklich niemandem verborgen:

“Der einstige Weltmarktführer Nokia setzt immer stärker auf den Smartphone-Boom. Das kostet erheblich Marktanteile im gesamten Handygeschäft – auch deshalb, weil sogenannte Feature-Phones-Nutzer mit ihren Geräten zufrieden sind und sich deshalb keine Smartphones zulegen wollen.” Quelle: http://www.n-tv.de/wirtschaft/Nokia-Marktanteil-bricht-ein-article10642006.html

Man muss schon lange suchen, bis man eine positive Nachricht zu Nokia findet. Aber spulen wir mal ein paar Jahre zurück, ziemlich genau in die Zeit vor dem … iPhone. Es kam im Jahr 2007 auf den Markt, also genau vor diesen Charts. Erste Smartphones waren bereits auf dem Markt, überzeugten den Kunden aber nicht. Sogar Nokia selbst hatte wunderbare Smartphones auf dem Markt. Zumindest einige Techies sprachen sie an.

Nokia Communicator

Nokia Communicator – Die damalige Idee eines Smartphones.

Aber noch war der Markt fest in der Hand der heute sogenannten Feature Phones, also Mobile Phones, mit denen  man mehr oder minder eben telefonieren konnte. Dazu gab es seltsame Handyspiele, SMS, Versuche von Social Sharing und andere Gadgets. Der Markt der Feature Phones war damals von Nokia übernommen und revolutioniert worden: Von einer ehemaligen Papiermühle und Hersteller hochwertiger Gummistiefel. Damals wurde Nokia zu Recht dafür bewundert, sich abermals radikal neu erfunden zu haben. Und mit jeder Neuerfindung hat Nokia nicht nur sich sondern jeweils auch einen Markt disruptiert und damit erobert. Und jetzt? Heute? Was ist passiert? Und: War das vorherzusehen?

Der Wissenstrichter

Dazu betrachten wir erst einmal was Nokia mit dem Einstieg in den Mobilfunksektor gemacht hat:

Zuerst einmal hat Nokia visionär ein Problem (Mystery) entdeckt: mobiles Telefonieren. Sie hatten eine Ahnung (Hunch), dass dieser Markt Zukunft hat. Nokia hat sich Stück für Stück der Erforschung dieses Problems und dessen Lösung angenommen. Erst hatten Sie grobe Mechanismen, Heuristiken, gefunden, um diesen Markt zu verstehen. Und durch ständige, unaufhörliche, immer schnellere Wiederholung, waren sie irgendwann in der Lage, diesen Markt perfekt zu bedienen. Sie hatten jetzt einfache Regeln (Algorithm) gefunden, um diesen Markt zu dominieren. Damit hat Nokia einen vollkommen typischen Innovationszyklus durchlaufen. Roger L. Martin nennt dies in seinem Buch „The Design of Business“ [Martin 1] den Wissenstrichter (Knowledge Funnel,). Er beschreibt den Weg durch diesen Trichter in folgenden Schritten:

Knowledge Funnel

Der Knowledge Funnel nach Roger L. Martin

1. Stufe: Mystery: Man entdeckt ein Problem (Mystery), man wundert sich.

2. Stufe: Heuristik: Man löst das Problem, Stück für Stück, heuristisch. D.h. man hat die Prinzipien der Lösung noch nicht verstanden. Man sucht noch nach den Mustern, Heuristiken. Um das schnell hinzubekommen, muss man schnell viel Erfahrung sammeln. Das macht man möglichst schnell in vielen Versuchen, die eventuell auch parallel ablaufen.

3. Stufe: Algorithmus: Hier hat man die Muster der Lösung, die Mechanik, verstanden und kann jetzt die Lösung skalieren. Beispiele dafür sind: Eine gute Online-Lösung, eine Franchising Kette (Starbucks hat das Muster des ‚third Place’ automatisiert, McDonalds den familienverträglichen Junkfood-Grill, usw.)

Genauso hat es Nokia gemacht. Es hat ein Problem entdeckt und wie verrückt nach Lösungen auf der Ebene der Heuristiken gesucht. Weil das Problem, dessen sie sich angenommen haben, wirklich ungelöst war und ein wirklich hartes Problem war, hatte das tiefgreifende Folgen: Ein neuer Markt ist entstanden, Nokia hat sich selbst dabei neu erfunden und letztlich komplett umgebaut, um diese neue Situation bedienen zu können. Das sind alles typische Merkmale für disruptive Innovation.

Das Innovators Dilemma

Leider ist das, was danach kam, auch ein Klassiker – wenn auch in der Geschichte von Nokia untypisch. Denn was dann oft passiert, ist dass Firmen in das  Innovators Dilemma hineinstolpern

 „Christensen suggests that successful companies can put too much emphasis on customers’ current needs, and fail to adopt new technology or business models that will meet customers’ unstated or future needs; he argues that such companies will eventually fall behind.
Christensen calls this “disruptive innovation” and gives examples as diverse as the personal computer industry, milkshakes, and steel minimills.“ Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/The_Innovator’s_Dilemma

 Das heißt, Unternehmen, die einmal einen wirklich tiefen Wissenstrichter durchlaufen haben, beginnen, sich im unteren Ende des Trichters festzubeißen. Sie optimieren ihr aktuelles Geschäftsmodell auf mehreren Ebenen: Zum einen wird der Algorithmus (das Produkt) durch kleinteilige Feature-Optimierung immer besser. Zum anderen wird die Operational Excellence in allen Bereichen optimiert. Das ist ehrenwert und eine anstrengende Aufgabe. Leider hat es aber meist auch den Effekt, dass sich das Personal oder zumindest die Kultur ändert. Nun werden exakte Vorhersagen wichtig. Das erwarten die Investoren und die Öffentlichkeit zu Recht. Dadurch gewinnen ein Denken und eine Kultur Oberhand, bei der die Vorhersage aus der Vergangenheit – also Wiederholbarkeit – im Fokus stehen. Man könnte das ein analytisches Mindset nennen. Dadurch werden die Ziele der operativen Exzellenz vollkommen erfüllt. Leider verlernt die Firma aber durch kleinteilige Optimierung den Wandel im Großen. Und damit wird die gesamte Firm vorhersehbar und das Geschäftsmodell leicht zu kopieren.

Wenn wir uns den Weg durch den Wissenstrichter aber genau ansehen, wird ein Problem offenbar: Wenn man ein Problem erkennt, kann man noch nichts über dessen Lösbarkeit und Rentabilität vorhersagen. Das hat in einer rein analytischen Kultur weitreichende Konsequenzen. Diejenigen, die neuen Problemen auf der Spur sind, haben in Meetings den Nachteil, keine oder keine seriösen Aussagen zur Lösbarkeit oder Rentabilität Ihrer Arbeit machen zu können. Ganz anders als all die Verbesserungsinitiaven in Unternehmen: Diese sind (bis auf ein bisschen Politik und zu viel belohnten Optimismus) relativ berechenbar und erhöhen vorhersehbar die Marge des Unternehmens. In solchen Meetings ist klar, welche Projekte ein Go bekommen und welche nicht. Damit sind aber Projekte benachteiligt, die weitere Male durch den Wissenstrichter hindurchkriechen wollen. Mit anderen Worten: In Unternehmen, die rein finanziell orientiert sind und Effizienz gewinnen wollen, hat Innovation keinen Raum mehr. Die Firma wird blind für das Umfeld, die drohenden Disruptionen von außen, die schwarzen Schwäne und damit fragil – obwohl sie nach außen finanziell blendend dasteht.

 Schwarzer Schwan: Ein von Nassim Taleb geprägter Begriff der verdeutlicht, dass das Eintreffen befürchteter angenehmer oder unangenehmer, Ereignisse mit großen Auswirkungen von Menschen unterschätzt wird. Man nimmt an, es gäbe nur weiße Schwäne. Tatsächlich sollte man den schwarzen Schwan einkalkulieren, da er im Falle des Eintretens von existentieller Bedeutung ist. [Taleb 1]

 Fragil – robust – antifragil: Eine Klassifizierung der Eigenschaften von System nach N.N. Taleb. Dabei ist ein System fragil, wenn es durch geringere äußere Einflüsse Schaden nimmt. Dies sind im allgemeinen hochkomplexe Systeme, die durch ein enges Regelwerk gesteuert werden.  (Ein Beispiel für ein fragiles System, das Taleb durch Vorhersage der Bankenkrise bekannt gemacht hat: Das Bankensystem, welches durch zu hohe Konzentration und enge Abhängigkeiten leicht angreifbar wurde.) Ein System ist robust (resilient), wenn es sich nach einem schädlichen Einfluss von außen von alleine erholt und wieder in seine Ausgangsform oder seinen Ausgangszustand zurückkehrt. Ein Beispiel für ein robustes System ist ein Ökosystem, welches z. Bsp. durch eine Ölkatastrophe geschädigt wird, sich aber selbständig erholt. Anti-Fragil sind Systeme, die sich bei einer Schädigung nicht nur erholen, sondern gestärkt aus der Schädigung hervorgehen. Ein Beispiel für ein solches System ist z. Bsp. der Körper des Sportlers unter dem Einfluss von Training. Letztlich stellt das Training eine kurzfristige Überanstrengung dar, die vom Körper während einer Erholungsphase überkompensiert wird. Nach mehreren Wiederholungen ist das System Sportler stärker als vorher. [Taleb 2]

Unternehmen sammeln Wissen und Innovation, indem sie oft den Wissenstrichter durchlaufen

Wie kann man diese aussichtslose Situation vermeiden? Der Witz bei der Sache ist, dass man durch den Wissenstrichter eben nicht nur einmal durch muss und dann die Lösung ausmonetarisiert. Man muss durch diesen Trichter immer und immer wieder durch. Denn jedes Mal hat man die Chance, ein neues Problem zu lösen, also einen neuen Markt zu öffnen. Dazu ist es notwendig, dass die Firma und insbesondere die Geschäftsführung genau diesen Mechanismus verstehen. Sie müssen verstehen, dass es eben zwei wichtige Aspekte in Unternehmen gibt, die dazu notwendig sind, anti-fragil also mehr als stabil  zu werden:

  1. Man muss die Effizienz der Firma immer und immer wieder verbessern (z. Bsp.  Kaizen).
  2. Dazu muss man scheinbar verschwenderische Innovation zulassen, indem man dieser die Ressourcen und den Raum lässt.

Dabei ist es wichtig, dass man die beiden Aspekte als geschützte Container innerhalb der Firma ansieht, die zwar miteinander kommunizieren und sich austauschen, sich aber gegenseitig keine Begrenzungen setzen. Denn die Innovation verkommt, wenn sie von Anfang an den Begrenzungen der Effizienz ausgesetzt ist. Anders wird man mit der Effizienz nicht weit kommen, wenn man ihr den Freiraum und das (ja!) zeitweilige Chaos der Innovation aufzwingt. Das alles setzt aber erst einmal voraus, dass man sich diesen Mechanismus bewusst macht.

Innovation ist verschwenderisch, aber es ist billiger, sie zuzulassen

So ist es dann wahrscheinlich auch die wahre Leistung bei Apple gewesen, diesen Zyklus zu erkennen und zum einen die Effizienz der Lieferkette in ungemeine Höhen zu steigern, gleichzeitig aber den Designer ungemeine und verschwenderisch wirkende Freiräume zu gewähren.

Apple konnte es auf diese Weise in den letzten Jahren immer wieder gelingen, schneller als die Konkurrenz tiefe Fahrten durch den Wissenstrichter zu unternehmen und dabei diverse Produktkategorien zu definieren. Man muss dabei aber gar nicht auf ein so exponiertes Beispiel schauen: Steelcase, Procter & Gamble und andere Firmen haben ebenfalls die Kraft des Design neben der Kraft der Effizienz entdeckt oder die Kraft der validen Lösung (die eine echte Lösung) vs. der Wiederholbarkeit (repeatability) wie es Roger L. Martin nennt.

Wir halten fest:

  • Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens ist lokal schwer zu beurteilen. So wie Nokia sich sicher wähnte, kann es jedem gehen, der nicht ständig im Großen innoviert. Schwarze Schwäne lauern um die Ecke.
  • Um als Firma anti-fragil zu werden, muss man dafür sorgen, dass der Wissenstrichter in der Firma immer wieder durchlaufen wird. So entgeht man dem Innovators Dilemma, mit dem positiven Effekt immer wieder neue Probleme zu lösen und dabei neue Bedürfnisse und Märkte zu bedienen. Bricht ein alter Markt weg, so ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein neuer entstanden.  Macht man das fortlaufend, so sind die einzelnen Märkte selbst nicht so wichtig. Kommt ein schwarzer Schwan von außen und zerstört einen der Märkte, so sind noch genügend Märkte übrig.
  • Management von Innovation ist wichtig, dabei muss man sich eingestehen, dass Innovation verschwenderisch ist: Nicht jedes Problem ist ein Problem, dass einen neuen Markt liefert und nicht jedes Problem kann zufriedenstellend gelöst werden und viele Probleme liegen auf der Straße – vielleicht sind andere schneller.

Bei Gelegenheit schreiben wir mehr über das ‚Was’ und ‚Wie’ der Innovation. Wenn Ihr Hinweise, Fragen oder Wünsche für weitere Themen und Aspekte habt, dann schreibt uns doch in den Kommentaren oder im Kontaktformular.

Literatur:

Gerade habe ich noch einen kürzeren Abriss zu dem Thema bei Tom Hulme gefunden: “Watch the Disruptors not the Incumbents

[Taleb 1] Nassim Nicholas Taleb: Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. Hanser Wirtschaft, 2008, ISBN 978-3-446-41568-3. (Original: The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable (Penguin, 978-0141034591, Februar 2008)

[Taleb 2] Nassim Nicholas Taleb: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. Knaus-Verlag, 2013, ISBN 978-3813504897.

[Martin 1] Roger L. Martin – The Design of Business: Why Design Thinking is the Next Competitive Advantage

 



5 Antworten zu Unaufhörlich, anders macht Innovation keinen Sinn

  1. […] Und am besten fängt man heute an, nicht im nächsten Jahr, nicht im nächsten Monat, nicht morgen. Und natürlich können die ersten Interviews oder der erste Workshop eine Riesenerfahrung werden (das sollen sie auch und dabei helfen wir gerne!) – aber auch diese positive Erfahrung hilft nur, wenn man sich das anstrengende Ziel setzt, das auch durchzuziehen. Das sollte man tatsächlich andauernd machen. […]

  2. […] haben Online-Unternehmen nicht naturgemäß nur stetig steigende Wachstumsraten? Das ist die Phase, in der eigentlich allerspätestens der Knowledge Funnel kontinuierlich brennen muss. Aber in der Regel passiert etwas ganz anderes: Wenn der Zeitdruck zu groß wird, übernimmt die […]

  3. […] die schlau sind und immer wieder neue Produkte auf den Markt bringen, machen etwas ähnliches: Unaufhörliche Innovation. Was hier konzeptionell passiert ist das, was Roger L. Martin mit dem Wissenstrichter (Knowledge […]

  4. […] zu verankern, denn Innovation funktioniert nur durch kontinuierliche Bemühungen, wie wir in unserem Post „Unaufhörlich, anders macht Innovation keinen Sinn“ gezeigt […]

  5. […] Letztens haben wir darüber geschrieben, dass Firmen stetig Innovation treiben müssen, um nicht rec… (Das darin verwendete Beispiel Nokia macht es ja tagesaktuell noch einmal deutlicher.) Und wir haben auch erwähnt, dass es in der Realität oft anders aussieht: Firmen einer gewissen ‚Reife’ sind eher auf Wirtschaftlichkeit und das Auspressen des aktuellen Geschäftsmodells fokussiert. Der Name dafür ist oft ‚Operational Excellence’. Wie der Name schon sagt, geht es hier um ‚Operations’, den reinen Betrieb des Geschäftsmodells. Das große Problem dabei ist, dass in dieser Phase das wofür die Firma eigentlich da ist vollkommen verwässert wird oder gar verloren geht und sich das Angebot radikal verschlechtert. Gleichzeitig greifen die Effizienzmaßnahmen selber auch nicht.  […]


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