Schlange stehen, Hot Dogs – das Product Development Bottleneck

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Waiting queues

In einigen Beiträgen haben wir uns mit dem Problem von Chaos und Entropie in der Produktentwicklung beschäftigt, etwa in „Ausweg aus dem Unternehmensdschungel“ oder in „Größer, schneller, mehr … gestern“.

Ein Symptom, dem wir immer wieder begegnen ist, dass die Warteschlangen vor PD vollkommen unbeherrscht sind. Eventuell werden diese nicht einmal bewusst wahrgenommen, oder sie werden als gottgegeben hingenommen – wie in einem lausigen Supermarkt. (Nebenbei erwähnt ist es kein Zufall, dass das Kanbanprinzip auch als Supermarkt bekannt ist.) Man bemerkt das an einem gewissen Chaos, an Umtriebigkeit und an einer gewissen Ziellosigkeit. Jeder im Produktmanagement ist unheimlich beschäftigt, eine Timeline (Deadline?) jagt die andere (oder: wartet auf die andere?), eine verstreicht nach der anderen, bedient eher ein Gantt Chart als einen Kunden, aber nichts passiert – weder im Positiven noch im Negativen. Was wir tun wirkt belanglos und irrelevant. Der Zynismus ist König in dieser Umgebung.

Schauen wir in die anderen Abteilungen, herrscht blankes Entsetzen, Resignation oder schon offene Abneigung und Abgrenzung uns gegenüber. Wir selbst sind unzufrieden, weil wir tausend Dinge anfangen (müssen?), aber kaum etwas fertig bekommen, das allerwenigste im Zeitrahmen und nichts davon in der Qualität, die wir uns selbst schuldig sind.

Unsere Product Development Abteilung gleicht einem Hot Dog Stand am Brandenburger Tor, der alle 10 Minuten 3 Hot Dogs ausliefern kann. Tatsächlich steht aber vor unserem Laden eine Schlange bis zum Reichstag. Unser Werbung behauptet ja auch „Beste Hot Dogs, immer frisch und schnell!“ Wer sollte da woanders bestellen? (Wer darf, wer kann?) Da stehen sie also, hunderte von Kunden, hungrig auf den fetten, saftigen Hot Dog, den wir ihnen versprochen haben, und alle denken, sie kommen bald dran. Der zwanzigste in der Schlange wartet aber schon eine Stunde.

Saftiger Hot Dog

Saftiger Hot Dog (*)

Natürlich sind wir nicht blöd und bemerken die ganze Sache recht fix. Damit mehr Leute bedient werden, verkaufen wir keine Hot Dogs mehr sondern stückeln die, so dass unsere Kapazität sich verdoppelt. Gute Idee – nur bekommt keiner unserer Kunden mehr einen Hot Dog und während vorher noch alle 10 Minuten 3 Leute zufrieden gestellt wurden und glücklich davon zogen, ist nun niemand mehr ein glücklicher Kunde. Wir haben uns hoffnungslos verzettelt und schicken alle Kunden mit Stücken von Hot Dogs nach Hause. Wir denken sogar, der Preis sei noch ok. Kurz: In der Hektik haben wir die vollkommen falsche Analyse gezogen, um dem Ansturm gerecht zu werden.

Hot Dog zerfleddert

Hot Dog zerfleddert (**)

Es wirkt absurd – aber das ist wirklich was in vielen Firmen passiert. Was man bei einem Problem zu großer Nachfrage machen müsste wäre natürlich erst einmal die Nachfrage zu analysieren. Quantitativ und qualitativ, also: Wie viel wollen die Leute von mir und genau was? Fangen wir an mit der Menge! Im Hot Dog Beispiel wird klar, dass man viel zu viel von uns will. Eine Lösung scheint nicht in Sicht! Wir könnten mal eben mehr Hot Dog Köche einstellen, aber: Kein Budget, und das skaliert bei Produktentwicklung nicht. Wir könnten die Hot Dogs schneller zubereiten, aber: Die Qualität, und – wie zaubern? Wir könnten Finetuning betreiben. So habe ich beispielsweise mal einen schlauen Imbissverkäufer mit einem T-Shirt „Ketchup links, Senf rechts“ gesehen, um lästige und laaaangsam machende Fragen zu vermeiden und dennoch das Problem zu lösen. Aber das wird uns nicht entscheidend schneller machen. Wir könnten … Tee oder Glühwein verteilen. Alle wäre ein bisschen glücklicher, aber das Problem wäre immer noch nicht gelöst. Oder wir könnten einfach den Leuten reinen Wein einschenken und ganz blöde ein Schild hinstellen: 3 Hot Dogs alle 10 Minuten. Moment! Was heißt denn das? Wir würden also einfach allen sagen, was und wie viel wir davon machen können. Das wiederum ist gar nicht schwer. Und die Wirkung dieser Transparenz ist umwerfend. Es ist ein bisschen wie „Reden hilft“. Denn, halt mal, wir sind ja gar kein Hot Dog Stand, der dem Ansturm wehrlos ausgeliefert ist. Wir sind ja Teil eines Ganzen, einer Firma! Einer Firma, in der wir  – zumindest gefühlt – das Bottleneck sind. Und niemand in der Firma hat etwas davon, dass wir das Problem bleiben. Damit sich andere aber dafür interessieren uns zu helfen, müssen sie unsere Situation kennen. Dafür bauen wir einfach ein Board auf, auf dem sich alle Projekte (Epics, Features, was auch immer) befinden, an denen wir arbeiten. Jetzt kann jeder sehen was los ist. Vor allem aber kann und muss jetzt jeder mitdenken, welche Aufgaben uns am sinnvollsten gegeben werden, um das Beste aus unserer Kapazität zu machen. So vermeiden wir lokale Optimierung ohne Sinn und Verstand und bevorzugen globale Optimierung über das ganze System.

Wir bieten alles mögliche

Wir bieten alles mögliche (***)

Aber noch mal Stop! Wenn wir genau hinsehen, verkaufen ja nicht nur Hot Dogs, sondern auch Pommes, Currywurst usw. D.h. wir müssen uns noch anschauen, welche Produkte und Services wir intern anbieten, wer unsere internen Kunden sind. Wie Peter Drucker fragen würde: „Was ist eigentlich unser Geschäft?“ Wenn wir das analysieren, können wir auch besser beantworten, auf welche ‚Bestellungen’ wir regelmäßig eingehen müssen, wie groß sie sind, welche eher mal ausnahmsweise kommen usw. Und jetzt können wir erst einmal eine wirklich gute Wand bauen, an der alles steht, was wir machen, fein säuberlich strukturiert nach der Art der Bestellungen und Stakeholder. Wenn wir das lange genug gemacht und analysiert haben, verstehen wir besser ‚Was unser Geschäft ist“ und was unsere Aufgabe ist. Und genau hier liegt das Problem begraben, dass die meisten Firmen diese Situation gar nicht analysieren, sondern einfach irgendwie nach Gefühl und Wellenschlag ‚halt Projekte liefern’. Wer Kahnemann liest weiß, was das bedeutet: Blindflug ist ein höflicher Ausdruck dafür.

Viele Firmen (meist die, die eigentlich von Zahlen dominiert werden) sind einfach unheimlich schlecht darin, ein quantitatives Modell ihres Geschäfts zu haben. Kategorien wie Cost of Delay oder generell ökonomische Modelle von Produkten und Projekten sind Fehlanzeige oder rein subjektiv und damit mit massiven Schwankungen behaftet. Sachliche Priorisierung ist solchen Kontexten unmöglich. Das alles muss entwickelt werden, damit sich die Mühe auszahlt, die wir uns geben um Transparent zu liefern.

Aber all das hat bis jetzt nur die liefernde Seite von Product Development als „Dienstleister“ angerissen. Was noch fehlt ist die gestaltende, eigenständige Seite – und die wiederum geht ganz anders. Über die reden wir demnächst.

(*) AttributionShare Alike Some rights reserved by rob_rob2001

(**) AttributionNoncommercialNo Derivative Works Some rights reserved by hifix

(***) AttributionShare Alike Some rights reserved by Marshall Astor – Food Fetishist

Titelbild: Attribution Some rights reserved by *sax



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