Gute Produkte sind nicht eitel

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The waiter

  • Ein guter Kellner ist da, wenn man ihn braucht, ansonsten bemerkt man ihn nicht.
  • Ein guter Kellner hat eine klar definierte Aufgabe, die er scheinbar mühelos erledigt – egal wer kommt.
  • Ein guter Kellner bedient alle gleich und gleich gut, selbst wenn die Wünsche stark auseinander gehen.

Gute Internetprodukte sind genauso. Sie sind da, wenn man sie braucht. Ansonsten drängen sie sich nicht auf. Sie haben einen sehr klar definierten Zweck, den sie für all jene, die kommen, gleich gut erfüllen. Sie versuchen nicht, einen zu ändern, sie versuchen nicht, einen zu erziehen. Sie sind einfach da und bedienen.

Amazon Homepage

Denken wir an amazon, so denken wir erst einmal gar nicht an das Internetprodukt, sondern an die dahinter stehende Dienstleistung. Das Bild des User Interface bleibt blass. Wenn wir an amazon denken, wissen wir zwar wie das Web Interface aussieht, aber es hinterlässt keinen tiefen Eindruck. Die positivste Reaktion, die ich noch zu hören bekomme ist: Es sieht jetzt schon besser aus als früher.

Kayak

Bei Kayak kann man einfach Flüge (inzwischen auch Hotels, Mietwagen usw.) finden. Mehr nicht. Selbst facebook (und ich mag es nicht) ist klar: Im undiskutierten Mittelpunkt stehen Nachrichten von Bekannten. Und dieser Mittelpunkt bleibt klar. (Na gut, erst einmal sehen, wie sie Paper da unterbringen)

Einfachheit = Klarheit

Einfachheit = Klarheit

Wenn man sich erfolgreiche Internetprodukte anschaut wird ein Muster deutlich: Sie sind unauffällig und bleiben im Hintergrund. Sie transportieren keine starken Botschaften, keine Rechtfertigungen oder Erklärungen. amazon etwa könnte, berechtigterweise, die halbe Homepage mit ‘customer obsession’- oder ‘werde Kindle-Autor!’-Botschaften zukleistern. Das passiert aber nicht.

Gute Produkte haben meist einen spezifischen Zweck, den sie sehr gut ohne große Variation erfüllen. Und diesen einen Zweck errät man sofort und ohne nachzudenken.

Das überrascht erst einmal und wirkt widersprüchlich zu all der Arbeit, die wir uns machen: Denn wir geben uns ja alle unendlich Mühe, sehr viele Personas zu verstehen, ihre Bedürfnisse zu extrahieren, ihren Geschmack zu verstehen, die richtigen Farben zu finden, die richtigen Anwendungszwecke in den richtigen Situationen zu entdecken. Früh im Entscheidungsprozess oder auch sehr spät. Situativ versuchen wir mal diesen und mal jenen Content anzubieten. Wir stellen uns die Frage, ob wir mit ein wenig mehr Content nicht Kohorten von Kundengruppe A in Kundengruppe B konvertieren können, denn von B wissen wir ja: Die kaufen!

Das ist alles nützlich. Die detaillierte Betrachtung, die endlosen User Journeys, Empathy Maps,und wie sie alle heißen. Das gegenintuitive Ziel von all dem ist aber, eine einfache Lösung für einen möglichst großen Markt zu finden. Am Ende ist all die Arbeit nur die Grundlage dafür, einen Kontext so gut zu verstehen, dass wir das ultimative, reduzierte Angebot definieren, das unsere Zielkunden sofort verstehen. Und ich rede von einem Angebot. Wenn wir auf den Markt gehen und zwei unterschiedliche Dinge anbieten, verlangen wir zu viel. amazon bot am Anfang Bücher an. Bei mobile.de konnte man von Anfang bis heute nur gute Autos finden. amazon ging weiter und hat den Buchmarkt verwendet, um das Rezept immer weiter zu vereinfachen, so dass nun unendlich viele Warengruppen dazu kommen konnten. Dafür hat amazon sein Interface nicht komplexer gestaltet, sondern ist bei dem unscheinbaren, einfachen Rezept geblieben, das nun überall funktioniert.

Unklar und viel bei Yahoo!, google gewinnt

Unklar und viel bei Yahoo!, google gewinnt

Sobald wir am Interface diskutieren müssen, wie wir die unterschiedlichen Ansprüche unter einen Hut bekommen können, müssen wir zurück und unseren Kontext besser verstehen und wahrscheinlich unser Angebot reduzieren – bis es so einfach ist, dass es auf einen Blick verstanden wird. Wenn wir zu viele “Reiter” brauchen, um unsere Optionen darstellen zu können, müssen wir auch wieder zurück und das Problem studieren und mit einem einfacheren Angebot daherkommen, das weniger “Reiter” benötigt, um dargestellt zu werden. Das Interface ist jetzt nicht das Problem – sondern unser Angebot.

Ein weiteres untrügliches Zeichen für ein zu komplexes Produkt ist, wenn wir uns beim Design zu viel Mühe geben müssen, um den Kontext zu erklären. Wenn unser Produkt “ohne Design” nicht funktioniert, wird auch nicht “mit Design” funktionieren. Wenn das Design gewinnen muss, sind wir im Modegeschäft – und bald wieder weg. Denn Mode ist flüchtig und verderblich. Das Produkt ist ein Gimmick.

Was gibt es hier noch mal?

Was gibt es hier noch mal?

Wenn wir also über Produkte stolpern, die uns erziehen wollen, die zu viel Content anbieten müssen, damit wir sie verstehen, die komplex sind, die uns zu viel anbieten oder ein sehr auffälliges Design haben, mit dem sie etwas retten wollen, liegt ein Verdacht nahe: Dieses Produkt wurde nicht tief genug konzipiert und existiert eher, um den Wunsch eines Investors, Gründers, Konzepters oder Designers zu erfüllen. Es wurde noch nicht konzipiert, um die Wünsche der Kunden zu erfüllen. Hier wurde noch nicht genug Empathie aufgebracht und der Wunsch der Betreiber steht im Vordergrund. Der Betreiber ist hier noch zu stur und will seinen Willen durchsetzen – er erfüllt seine eigenen Bedürfnisse nach „Durchsetzung“.

Ein guter Kellner bleibt im Hintergrund – ein gutes Produkt auch. Der Kellner ist für den Gast da, wir müssen für den Kunden da sein. Unsere Eitelkeit muss zurück stehen. Und um das zu schaffen, müssen wir genug Arbeit investieren, um den Kunden und seine Probleme zu verstehen. Wenn dein Interface noch „sprechen“ muss, hast Du es noch nicht geschafft.

Titelbild von Florian Plag (Flickr: Serve chilled.) [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons



Eine Antwort zu Gute Produkte sind nicht eitel

  1. […] Um die Fragen zu beantworten, lohnt es sich, erst einmal eines unserer Lieblingskonzepte anzuschauen, den Knowledge Funnel von Roger L Martin. Hier gibt es drei sich wesentlich unterscheidende Phasen im Lebenszyklus eines Produktes, die uns vor grundsätzlich andere Herausforderungen und damit Fragestellungen und Arbeitsweisen stellen. Im oberen Teil des Trichters versuchen wir erst neue Probleme von Kunden zu entdecken, die wir lösen können. So versuchen wir das Problem und seinen Kontext zu verstehen. Das kann aber nur in einer kleinen Kundengruppe gut funktionieren – ansonsten ist unser Ausgangspunkt gleich wieder ein Kompromiss und eben nicht valide. Im mittleren Teil versuchen wir Heuristiken zu finden, mittels derer wir einer skalierenden Lösung näher kommen. Am unteren Ende des Trichters haben wir letztlich so viel Wissen gesammelt und so viel experimentiert, dass wir nun beginnen können, ein Rezept auszubeuten, dass bereits gut skaliert. Hier geht es nun um die weitere Optimierung des Lösungsrezeptes. Und das heißt meist, das Rezept so zu verallgemeinern, dass das Produkt im Hintergrund bleibt. (Siehe “Gute Produkte sind nicht eitel”)  […]


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