Quality Time

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Blinde Flecken

Ich bin in der letzten Zeit öfters über einen blinden Fleck gestolpert: dass wir bei der Arbeit oftmals zu viel Zeit rein funktional verbringen und zu wenig Quality Time miteinander verbringen. Das lässt vieles effizient aussehen, hinter den Kulissen aber ist es duster. Ich will das an zwei Beispielen aus der Praxis erläutern, die mir in den letzten Monaten begegnet sind.

Der Konzern

Im ersten Beispiel haben gute, erfahrene Leute aus Deutschland die Aufgabe einen Multinationalen Konzern zu lenken, der hochgradig auf andere Länder verteilt ist und mehr zusammenwachsen sollen. Das zwingt zu einer Art Management, die geprägt ist von häufigen und tiefgreifenden Veränderungen in den Ländergesellschaften. Die deutschen Manager fahren in die anderen Länder, arbeiten dort mit den Ländergesellschaftern und bauen sich im Laufe der Zeit eine Gruppe vertrauter Mitarbeiter auf. Aber auch nach Monaten war die Beobachtung, dass irgendwie etwas fehlt. Neue Pläne werden in Workshops gemeinsam erarbeitet und dann auch umgesetzt. So fährt man in eine nach der anderen Ländergesellschaft und versucht dabei auch ein Modell von Empowerment und Mitdenken statt Befehlsübergabe und -empfang umzusetzen und vorzuleben. Aber irgendwie springt der Funke nicht über. Es werden ganze Tage damit verbracht, in Retrospektiven die Teams sich selber verbessern zu lassen und damit Delegation der Verbesserung in die Teams selbst geschehen zu lassen. Man macht alles „richtig”, Aber irgendwie springt der Funke nicht über.

An dieser Stelle wurde ich gefragt was man denn verbessern könne. Und mir fiel relativ plötzlich auf (erst jetzt, weil: blinder Fleck!), dass aus Sicht der Mitarbeiter das Ganze sicher ehrlich wirkt, aber nicht ganz nachvollzogen werden kann. Wir kamen dann darauf, einfach einmal ohne Plan und ohne Absicht in die Ländergesellschaften zu fahren und einfach zu feiern oder zu reden oder Mittag zu essen oder Bier zu trinken oder … Ich denke, dass es hier (und sicher in vielen vielen anderen Fällen) wichtig ist, einmal nichts zu wollen und sich einfach als Menschen kennenzulernen. Für die Mitarbeiter im Ausland wirken wir Deutsche sicher als hoch gestresste Manager, die ins Land einfliegen, Wünsche äußern (wenn auch auf sehr nette Weise)  und dann auf Selbststeuerung warten. Die Selbststeuerung, die ständig von uns betont wird, wird dabei zum einen sicher als von uns als effektivste Arbeitsform empfunden. Zum anderen nimmt weiss man sicher nicht ob man uns die „Nettigkeit” abnehmen soll, vor allem aber weiss man sicher gar nicht warum man uns überhaupt folgen sollte. Denn um jemandem gerne etwas abzunehmen, muss man denjenigen erst einmal schätzen. Und je höher das Maß an Änderungen ist, umso mehr geht es auch darum , dass man die Person nicht einfach als Chef schätzt und ihm vertraut, sondern auch Dinge in der Persönlichkeit sieht, die einem sagen, dass dort Autorität und Authentizität stecken, der man gar nicht kompromisslos folgen muss, sondern, die man auf irgendeine Art schätzt. Und ich denke, dazu gehört mehr als Strategien und Managementbilder auszutauschen und zu diskutieren. Vielleicht muss dafür einfach gemenschelt werden: Die Sorgen über den Anruf aus der Kita  (Tochter krank, was jetzt?) teilen oder beim Bier kommt raus, welche bescheuerte Musik man mag und tatsächlich 500km zum Konzert von einer schrägen Jazzband gefahren ist, zeigen, was man von der Politik seines Landes hält, über ehrliche Fragen zeigen, dass man sich tatsächlich für den anderen interessiert und zwar länger als die 5 Minuten beim Kaffe in der Workshoppause. Denn ich glaube, dass man nur Menschen für authentisch halten kann und ihnen ehrlich „nette“ Menschen- und Managementbilder abnehmen und glauben kann, wenn man genug über sie erfährt und wenn sie sich in Situationen trauen, in denen sie eben authentisch (verletzlich?) und nicht gehetzt sind und in denen die Maske fällt und eben auch mal alles schief geht oder es eben um gar nichts geht.

Das Innovationsprojekt

Im anderen Fall, hatte ich bei einem Kunden ein Innovationsproekt übernommen und ein frisch zusammengewürfeltes Team von 6-8 Mitarbeitern für zwei Tage pro Woche „bekommen“. Die Erwartungen an Projekt und mich waren sehr unterschiedlich und im Kern war das Schwierige an der Situation dass das Team aus Personen zusammengewürfelt wurde, die sich nicht kannten, vollkommen unterschiedlichen Hintergrund hatten (so weit also sehr gut für das Projekt) vor allem aber wusste das Team nicht genau was auf es zukam. Da wir nur ein paar Wochen mit jeweils zwei Arbeitstagen hatten, lastete unvermeidbar ein gewisser Druck auf der Situation, der zusätzlich auf relativ „andere“ Arbeitsmethoden in frühen Produktphasen traf, begleitet von hoher Unsicherheit, wenig Domänenwissen usw. Kurz: das Team arbeitete zwar äußerlich vorbildlich zusammen, war aber auch froh, hie und da wieder in die Pausen zu verschwinden, mit den Kollegen aus ihren eigentlichen Teams zu sprechen usw. Irgend etwas stimmte nicht. Zum einen kam mir das ganz normal vor, weil wir uns als Team erst finden mussten, zum anderen aber kam mir das „Weglaufen“ schon komisch und zumindest hinderlich vor. Dann fiel mir auf, dass wir gar nicht alle zusammen Mittagessen gingen. Und hier fasste ich den (im Nachhinein vollkommen normal wirkenden, damals aber fast übergriffig wirkenden) Plan fast schon zuweisen, dass wir heute zusammen Mittagessen gehen sollten. Leichtes Murren, aber auch ein gewisses „Jaja, klar, natürlich“ waren die Folge. Beim Essen sprachen wir dann auch erst einmal gar nicht über das Projekt sondern über die bevorstehende Hochzeit eines Mitglieds, das letzte Wochenende  (bei dem nicht alles gut ging) usw. Small Talk eben. Und siehe da … wir lernten uns allmählich als Menschen schätzen und achten und allmählich entstand ein ganz anderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das führte auch dazu, dass meine Methoden nicht mehr wie vom Mond gefallen wirkten, sondern auf eine ganz andere Akzeptanz stiessen.
Lunch Time

Lunch Time, Quality Time (Foto von Juhan Sonin auf flickr, CC Lizenz)

“Quality Time – Zeit in der wir mal nicht(s) wollen, sondern einfach nur sind.”

In beiden Fällen sind mir ein paar Punkte aufgefallen und wichtig:

Es kommt nicht darauf an, dass wir „beste Freunde“ werden und unbedingt in der Freizeit ein Bier zusammen trinken wollen, sondern das Situationen geschaffen werden, die zweckfrei sind und einfach nur normalen menschlichen Austausch möglich machen.

Es geht mir auch nicht nicht um „slacktime“, „20% time“ oder andere Formen der Arbeit, die zwar zeit frei räumen, aber doch wieder mit einem Firmenzweck füllen. Es geht mir um sinnfreie Zeit ohne Intention, die uns schlicht und einfach die Möglichkeit gibt, uns als Menschen kennenzulernen und uns so zu nehmen wie wir sind. Letztlich in der Annahme und im Vertrauensvorschuss, dass wir alle keine Idioten sind, sondern vollkommen nette, vernünftige Menschen, die schon eine Ebene des Vertrauens und der Akzeptanz finden werden.

Obwohl es vollkommen normal und selbstverständlich wirkt, beschreibe ich hier aber tatsächlich zwei Situationen aus einem relativ kurzen Zeitraum in meinem Umfeld, in denen dies aus besten Absichten und vor allem in höchster Leistungsmotivation fast vergessen wurde und in denen es erst einmal „seltsam“ rüber kam, wieder für diesen Austausch zu sorgen. Und genau das ist es worauf wir wohl hie und da achten müssen: Über diese seltsame Grenze gehen, die es seltsam wirken lässt und uns und unseren Teams diese Quality Time einfach zu gönnen.

Zufällige Beobachtungen

Apropos seltsam: Hier noch weitere kleine Beispiele, die erst seltsam wirkten, dann aber etwas Gutes bewirkten: Ich hatte einmal einen Chef, der mit all seinen 140 Mitarbeitern einzeln regelmässig zum Mittagessen gegangen ist. Er hatte das zu Beginn seiner Zeit bei uns angekündigt und viele dachten, das sei Fake. Die Überraschung war dann groß, als er bei den Mittagessen dann tatsächlich vollkommen authentisch privat interessiert war und eben nicht über die Arbeit geredet hat und vollkommen nette Gespräche über Gott und die Welt mit seinen Essenpartnern führte. Der selbe Chef sagte auch, dass er sich über emails freuen würde und diese im allgemeinen direkt beantworte. Auch dies hielten für einen Standardsatz und waren sehr überrascht, dass er dies dann tatsächlich tat. Dieser Chef lag mir privat relativ fern, was er mit diesen kleinen Gesten allerdings hinbekam war, dass ich ihn für authentisch, nicht anbiedernd und glaubwürdig hielt. Und heute nötigt mir der Aufwand, den er betrieben hat um die Nähe zu suchen, eine Menge Respekt ab.

Am Ende ist es bei Arbeit wie zu Hause, in der Beziehung zum Partner oder den Kindern: wenn der Austausch nur noch funktional ist, geht nichts mehr. Ein bisschen Quality Time und Menscheln hilft und macht alles erst nett und lebenswert.

Ich lese gerade “Kaizen forever – Teachings of Chihiro Nakao“, ein dünnes Büchlein über die Weisheiten eines der engsten Mitarbeiter von Taiichi Ohno (dem Vater des Toyota Production System) und es ist beeindruckend zu lesen, wie stark in Kaizen ganzheitlich gedacht wird, wie wenig die Interessen von Zulieferer, Qualität, Kosten und eben Mitarbeiter und Mensch dort voneinander getrennt werden (können). In meiner Interpretation gehört Quality Time damit auch untrennbar zu Kaizen, also dem kontinuierlichen Verbesserungsgedanken.

Bei uns zu Hause gingen früher viele in den Ferien mit den Bauern in die Weinlese: Da gab es keine Trennung von Effizienz und Menschen. Man fuhr zusammen mit dem Trecker in den Wingert, hat dort zusammen den „Arbeitsplatz“ eingerichtet, fette Leberwurstbrote (sic!) gefrühstückt, es gab ein lustiges Belohnungssystem für uns Kinder (wer darf schon die “Bütt” tragen?) und es wurde eben den ganzen Tag über geschnattert. So wurde man die Herbstferien über zu einer netten, verschworenen Gemeinschaft, die die morgendliche Hält und die Hitze tagsüber super zusammen ausgehalten hat, aber auch viele komplette Regentage. Und es ist eine Zeit, die jeder immer geschätzt hat. Die Bauern wussten also schon, wie sie uns bei aller Aasgesetztheit eine gute Zeit machen.

Wie schafft Ihr es, genug Quality Time bei der Arbeit zu finden?

Foto von Mike Baird auf flickr, verwendet unter CC Lizenz.



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