Der Ausweg aus dem Unternehmensdschungel

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The Spice Girls

Tell Me What You Want, What You Really Really Want, Alignment und Goal #1

Letztens haben wir darüber geschrieben, dass Firmen stetig Innovation treiben müssen, um nicht rechts von anderen überholt zu werden. (Das darin verwendete Beispiel Nokia macht es ja tagesaktuell noch einmal deutlicher.) Und wir haben auch erwähnt, dass es in der Realität oft anders aussieht: Firmen einer gewissen ‚Reife’ sind eher auf Wirtschaftlichkeit und das Auspressen des aktuellen Geschäftsmodells fokussiert. Der Name dafür ist oft ‚Operational Excellence’. Wie der Name schon sagt, geht es hier um ‚Operations’, den reinen Betrieb des Geschäftsmodells. Das große Problem dabei ist, dass in dieser Phase das wofür die Firma eigentlich da ist vollkommen verwässert wird oder gar verloren geht und sich das Angebot radikal verschlechtert. Gleichzeitig greifen die Effizienzmaßnahmen selber auch nicht. 

Innenfokus durch Operational Excellence

Denn während eine Firma im Aufbau des Geschäftsmodells gezwungenermaßen nach außen fokussiert ist und die Wünsche der Kunden erfüllt, ist eine Firma in der ‚Operational Excellence’-Phase zwangsläufig nach innen fokussiert:

  • Wo kann Geld gespart werden?
  • Wo kann effizienter gearbeitet werden?
  • Wie können wir unser Konglomerat von Firmen integrieren?
  • Wo können Synergien erreicht werden, und so noch mehr Geld gespart werden?

Das ist zum einen sehr verführerisch, denn man riecht förmlich, wie gut man diese Tätigkeiten administrieren kann. Man riecht auch, wie nun Silos und Hierarchien entstehen, an Bedeutung gewinnen, zum Selbstzweck werden und schließlich vollkommen undurchlässig werden. Genau die Silos,  in denen die Effizienzmaßnahmen umgesetzt werden. Man riecht auch, wie diese Maßnahmen jeweils ‚einfacher’ innerhalb eines Silos umgesetzt werden können, das mit den anderen nicht kommuniziert. Aber auch wie schwer es ist, solche Maßnahmen über Silos hinweg umzusetzen. Da das nächste Entscheidungskomitee in den nächsten drei Wochen ansteht, ist klar, was jeder Effizienzbeauftragte unternimmt: Er löst das nächst liegende einfache Problem in seiner Abteilung anstatt zu helfen das Gesamtsystem zu verbessern. Schlimmer noch: Diejenigen, die ans Gesamtsystem denken und die Einzelmaßnahme als nutzlos ansehen, sind aus Sicht des geplagten Umsetzers Querulanten.

Die Folgen dieses Vorgehens und dieser Phase ist in dreifacher Sicht tödlich für Unternehmen:

  • Der Fokus liegt auf lokaler Optimierung statt auf globaler Optimierung.
  • Der Fokus ändert sich von Kundenzentrierung (also nach außen gerichtet) komplett auf das Unternehmen selbst. Der Kunde wird ein unbekanntes Wesen.
  • Und schließlich werden Abteilungen, die vorher einen Teil zum Ganzen lieferten, zu Silos und manifestieren sich als solche. Am Ende wird es der Zweck jeder Abteilung, sich selbst zu dienen – die anderen Abteilungen stören eher. 

Lokale Optimierung statt System

Während vorher die Firma als Ganzes, als System wirkte und das Ganze eben mehr war als die Summe seiner Teile, ist die Firma nun nicht einmal mehr die Summe seiner sich im Wege stehenden Teile.

Der Kunde macht das auch noch relativ lange mit. Wie der berühmte Frosch im Kochtopf merkt er lange nicht wirklich was vor sich geht. Ja, der Service war schon einmal freundlicher, die Mailings haben ihn schon einmal besser angesprochen. Aber irgendwann kommen Änderungen in den Systemen und im angebotenen Produkt, die er nicht mehr versteht und die für ihn alles schlechter machen anstatt besser.  Denn bei den Änderungen geht es ja nicht darum, dass ihm besser geht, sondern, dass Services und Produkte vereinheitlicht werden. Services und Produkte, die vor zwei Jahren noch auf ihn zugeschnitten waren. Und hier greift was John Seddon sagt: „Wenn du Kosten verringern willst, werden die Kosten hochgehen“.

Aber auch innerhalb der Firma hat diese Phase erschreckende Folgen. Es ist sehr leicht, sich an echten Erfolgen auf dem Markt zu erfreuen und diese Erfolge zu feiern und seine Motivation daraus zu ziehen. Schwerer ist es, sich am Erreichen (oder auch Nicht-Erreichen) abstrakter Zielvorgaben in ‚KPIs’ zu freuen, die eine Zeile in PowerPoint sind und auf umständlichen Wegen aus 20 Reports in 13 Systemen zusammengefahren werden müssen.

Typischerweise läuft eine Firma in dieser Phase auch nicht etwa 3-5 KPIs hinterher, sondern mehr als 200. Von irgendwelchen umsatzgetriebenen KPIs werden KPIs pro Abteilung, Unterabteilung und letztlich Mitarbeiter, Produktteil usw. abgeleitet. Ein Dschungel, den niemand verstehen kann und der letztlich mit dem K in KPI nichts mehr zu tun hat. Welche der 200 KPIs sind denn nun Key, also wichtig? Und wer würde durchblicken, was sie bewirken und wo sie miteinander konkurrieren?

Aber was ist der Weg heraus aus dieser Phase? Der ist wiederum auf dem Papier erschreckend einfach, in der Praxis aber sehr schwer.

Kundenwert als Orientierung 

Zu allererst muss der Kunde wieder in den Fokus gestellt werden. Das ist sicher jedem klar. Allerdings ist niemandem mehr klar, was das bedeutet, denn auf den Powerpoints war der Kunde ja immer wichtig und irgendwie hat man Customer Centricity bei allem Geschiebe von KPIs niemals aus dem Auge verloren, oder? Und die Zahlen gingen doch auch nach oben – da muss ja alles gut sein. Fragt man nun aber, wer denn im letzten Jahr einmal wirklich mit dem Kunden gesprochen hat (das absolute Minimum also), dann ist die Antwort erschreckend: Service und Sales – die können ja nicht anders. Die Frage ist jetzt, wie man fast jeden Mitarbeiter wieder mit dem Kunden vertraut machen kann, denn jetzt ist das ja schwer. Die meisten Firmen kennen jetzt nicht einmal mehr eine Agentur, die ihnen die Kunden für Workshops, Interviews usw. beschaffen kann.

Zum anderen muss das Management den Weg aus dem Dschungel der KPIs und Ziele leiten. Und das ist ein Riesenwandel: Während bisher die Energie des Unternehmens, der Manager und der Mitarbeiter aus dem Jonglieren mit den ungezählten Unterzielen bezogen wurde muss, man sich nun auf maximal eine Handvoll Ziele für das Unternehmen beschränken. Intellektuell bringt dass das Problem auf, dass man plötzlich sehr tiefe Diskussionen führen muss, um den Dschungel auf ein paar Bäume und Pfade zu reduzieren. Und das heißt ‚Nein’ sagen zu all den Initiativen, die einem in den letzten Jahren wichtig waren.

Alignment durch übergeordnete Ziele

Das K in KPI sagt ja nicht nur, dass es wenige KPIs gibt, sondern, dass sie auch von den wichtigen Inhalten getrieben werden. Dafür müssen jetzt aber die Inhalte jetzt überhaupt wieder neu verstanden werden. Das heißt, es muss tiefe Diskussionen über diese Inhalte und Ziele geben. Auch diese können eigentlich wieder nur dann ausgerichtet werden, wenn man den Kunden kennt. Das ist ja der unglaubliche Wert an Kundenzentrierung – man hat immer einen echtes Ziel vor Augen, man muss es nur immer wieder neu entdecken: Die Kundenbedürfnisse. Nun muss es aber nicht nur Diskussionen geben sondern eben auch klare Ergebnisse und diese müssen klar vermittelt werden, so dass die Angestellten diese auch verstehen und von ihnen motiviert werden. 53 Seiten Powerpoint alle zwei Wochen sind dazu denkbar ungeeignet. Hier müssen authentische Manager ihre Visionen sehr persönlich vermitteln. Ein Problem dabei ist, dass die Manager mit dieser Vision inzwischen möglicherweise das Unternehmen verlassen haben. Den Manager mit echten Visionen verstehen sich selten gut mit Managern, die ein Unternehmen verwalten und effizient machen. Auch hier ist wichtig, dass klar ist, dass es beide Kulturen in derselben Firma geben muss und der Wert der beiden Kulturen explizit gemacht wird. Und vor allem dass diese koexistieren und müssen. 

Und nun muss endlich wieder einsetzen, was Stephen Bungay von uns fordert: Der ultimative Spice-Girl-Imperativ des Managements: ‚Tell me what you want, what you really really want’. Darüber kann die Firma wieder auf die echten Ziele Alignment bekommen. Noch besser, wenn die klar priorisiert sind und am besten noch Goal Nr. 1 klar identifiziert ist unter dem alle anderen Ziele im Zweifelsfall leiden müssen. Und natürlich muss auch dies authentisch und lebendig an die Mitarbeiter vermittelt werden. Vor allem muss dies nun nachgehalten werden. Das bedeutet vor allem den Schutz der Mitarbeiter vor Ablenkung durch andere Ziele. Ein Überfluten der Mitarbeiter mit immer neuen wichtigen Aufgaben muss jetzt unterbleiben . Und jetzt – erst jetzt – kann man von Empowerment reden und Autonomie von Mitarbeitern erwarten. Denn nun ist das Spielfeld abgesteckt, in dem der Mitarbeiter frei agieren kann. Denn nun gibt es Alignment auf der Ebene von ‚Warum’ und ‚Was’, welches die Autonomie auf dem ‚Wie’ ermöglicht. Je weiter eine Firma sich in diesem Modell wieder entwickelt, um so eher kann auch die Autonomie auf dem ‚Was’ wieder entwickelt werden. Die Voraussetzung dafür ist natürlich ein Höchstmaß an Vertrauen, welches letztlich durch regelmäßiges ‚back reporting’ erzeugt wird – bei dem bitte nicht ‚reingeredet’ wird sondern nur das Verständnis des Ziels und der Aufgaben überprüft wird.

Ein langer und schwerer aber notwendiger und lohnender Weg. Noch besser ist es natürlich, wenn man nie dort endet.  Wenn man also das Innovators Dilemma von Anfang an durchschaut und der Versuchung widersteht, die Innovation der Wirtschaftlichkeit zu opfern. Besser man räumt beiden Elementen von Anfang an den notwendigen Platz ein und schützt beide voreinander. Innovation und Wirtschaftlichkeit müssen in Unternehmen stet koexistieren.

Literatur: Stephen Bungay – The Art of the Action

Foto von Eric Mutrie lizensiert unter Creative Commons



3 Antworten zu Der Ausweg aus dem Unternehmensdschungel

  1. […] Der Auftraggeber muss klar formulieren, was gewollt ist. Aufgaben wie „Wir brauchen Innovationen“ oder „Wir brauchen Wachstum“ sind nicht praktikabel, da der Lösungsraum viel zu groß ist. Auch quantitative Ziele (z.B. „Conversion von X auf Y steigern“), die häufig dominieren, sind wenig geeignet, weil sie den Kunden nicht in den Vordergrund stellen und kurzfristige Optimierungen fördern. Die eigentliche Erwartung, nämlich das Unternehmen durch Innovationen strukturell weiterzubringen und nachhaltige zu verändern, wird am ehesten durch die Beantwortung konkreter neuer Problem-Statements gelöst („When I (Situation of a User), I want to (Motivation), so that (Expected Outcome)“). Siehe hierzu auch „Kundenzentrierung nach Zahlen“ und „Der Ausweg aus dem Unternehmensdschungel“. […]

  2. […] wir uns mit dem Problem von Chaos und Entropie in der Produktentwicklung beschäftigt, etwa in „Ausweg aus dem Unternehmensdschungel“ oder in „Größer, schneller, mehr … […]

  3. […] wem?“ (zwei von Peter Druckers Kernfragen) dürfen nicht unbeantwortet im Raum stehen bleiben (siehe auch „Der Ausweg aus dem Unternehmensdschungel). […]


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